Die Wahrscheinlichkeit, dass für die Blutstammzellspende registrierte Personen tatsächlich für eine Spende angefragt werden, liegt in der Schweiz bei 0,05%. Für viele Registrierte ist eine Anfrage für eine Spende deshalb eine Überraschung. Umso wichtiger ist es für sie, zu wissen, was sie erwartet. In diesem Kapitel lernen Sie alle Schritte von der Anfrage bis zur Spende kennen.
Schauen Sie sich mit der Klasse das Video zu Samuels Geschichte an und diskutieren Sie folgende Fragen:
Hinweis
Um zu repetieren, was Blutstammzellen sind und welche Funktion sie in unserem Körper haben, sehen Sie sich in Modul 1 (Das Blut) das Kapitel Blutstammzellen an.
Samuels Spende ist an einen Menschen gegangen, dessen Gewebemerkmale (oder HLA-Merkmale) sehr genau mit seinen Merkmalen übereinstimmten. Für einen «Match» zwischen erkrankter und spendender Person sind im Idealfall zwölf HLA-Gene identisch. Es ist also nicht so, dass sich die Personen äusserlich ähneln oder gar «genetische Zwillinge» sind, es sind hingegen einfach einzelne Abschnitte auf dem gesamten menschlichen Genom übereinstimmend.
Pro Jahr kommt es in der Schweiz nur bei 0,05% aller registrierten Personen zu einer Spende. Das entspricht etwa 70 Personen. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass man als registrierte Person lange Zeit keine oder nie eine Spendenanfrage bekommt. Aufgrund der vielen Kombinationsmöglichkeiten der HLA-Merkmale wird jedoch für jede vierte an Leukämie erkrankte Person keine passende Spende gefunden. Deshalb erhöht jede registrierte Person die Chance, dass eine Patientin oder ein Patient weiterleben kann.
Vielfach ist eine Blutstammzellspende die letzte Hoffnung für Menschen mit einer lebensbedrohlichen Blutkrankheit wie etwa Leukämie.
Bei der Blutspende gibt es acht Kombinationen der Merkmale. Sie ergeben sich aus den Blutgruppen 0, A, B, AB und den Rhesusfaktoren «positiv» oder «negativ». Bei der Blutstammzellspende dagegen spielt die Blutgruppe eine untergeordnete Rolle. Hier müssen die humanen Leukozytenantigene, kurz HLA-Merkmale, übereinstimmen. Sie werden vererbt und durch die ethnische Durchmischung immer vielfältiger.
Die HLA-Merkmale helfen unserem Immunsystem, eigene von fremden Strukturen zu unterscheiden. Da fremde Strukturen von unserem Immunsystem bekämpft werden, ist die Übereinstimmung der HLA-Merkmale von Spendenden und Empfangenden für den Erfolg einer Transplantation von Blutstammzellen entscheidend. Ansonsten stösst der Körper die fremden Blutstammzellen ab oder die transplantierten Blutstammzellen stossen den fremden Körper ab.
Hinweis
Informieren Sie sich im Modul 2, Kapitel Das HLA-System, ausführlicher über die HLA-Merkmale.
Stellen Sie sich vor: Sie wurden für eine Spende angefragt und stimmen zu. Was passiert danach?
Zunächst erfolgt ein Aufklärungsgespräch und dann eine Blutentnahme in einem Blutspendezentrum in der Nähe. Dabei werden Ihre Gewebemerkmale (HLA-Merkmale) erneut bestimmt und kontrolliert. Man spricht deshalb auch von einer Kontrolltypisierung. Hier geht es darum, die erste Typisierung der Gewebemerkmale vom Stäbchentest zu bestätigen, der bei der Registrierung selbstständig durchgeführt worden ist (mehr dazu im Kapitel Registrierung zur Blutstammzellspende). Gleichzeitig wird das Blut auf die wichtigsten übertragbaren Infektionskrankheiten wie z.B. Hepatitis und HIV getestet und die Blutgruppe bestimmt.
Sind Sie definitiv als Blutstammzellspenderin oder Blutstammzellspender ausgewählt, werden Sie zu einem ausführlichen Informationsgespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt ins Entnahmezentrum eingeladen. Danach erfolgt ein umfassender Gesundheitscheck. Dieser ermittelt Ihre Spendentauglichkeit und stellt sicher, dass weder für die erkrankte Person noch für Sie als Spenderin oder Spender ein Risiko besteht. Die Vorbereitungen einer Spende beginnen erst, wenn Sie Ihr schriftliches Einverständnis gegeben haben.
Eine Blutstammzellspende ist immer freiwillig, niemand ist zur Spende verpflichtet. Spenderinnen und Spender können ihr Einverständnis jederzeit widerrufen. Bei einer Absage der spendenden Person kurz vor der Spende sind beim Patienten oder der Patientin jedoch schwerwiegende Gesundheitsschäden bis hin zum Tod möglich. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich frühzeitig die Gründe zu überlegen, die für oder gegen eine Spende sprechen.
Diskutieren Sie die beiden Fragen mit einer Lernpartnerin oder einem Lernpartner.
Von der Spendenanfrage bis zur Entnahme von Blutstammzellen vergehen meist einige Wochen, manchmal sogar Monate. Im folgenden Abschnitt erfahren Sie, was während dieser Zeit aus Sicht der Spenderin oder des Spenders passiert und wie eine Spende genau abläuft.
Lernen Sie mithilfe des nachfolgenden Videos die zwei Entnahmemethoden von Blutstammzellen kennen:
Wird eine passende Spenderin oder ein passender Spender gefunden und ist sie oder er zur Spende bereit, gibt es zwei verschiedene Entnahmearten: die Spende von peripheren Blutstammzellen oder eine Knochenmarkspende.
Die Entnahme der Blutstammzellen erfolgt in der Schweiz in einem der drei Entnahmezentren Basel, Genf oder Zürich. Die Transplanteurin oder der Transplanteur legt die für die erkrankte Person optimale Entnahmeart fest. Wenn die spendende Person dieser Entnahmeart nicht zustimmt, ist es möglich, dass die Transplanteurin oder der Transplanteur sich für eine andere spendende Person entscheidet.
Mehr als 80% der Spenden in der Schweiz erfolgen heute peripher. Das heisst, die Blutstammzellen werden direkt aus der Blutbahn der Armvene entnommen.
Einige Tage vor der Spende werden der Spenderin oder dem Spender Wachstumsfaktoren verabreicht, damit sich die Blutstammzellen im Knochenmark vermehren und in grösserer Anzahl in die Blutbahn gelangen können. Die Entnahme erfolgt üblicherweise ambulant. Das heisst, dass man am selben Tag wieder nach Hause gehen kann.
An beiden Armen werden venöse Zugänge gelegt. Das Blut fliesst von einem Arm aus durch einen sogenannten Zellseparator. Dieser trennt die Blutstammzellen vom Blut und sammelt sie. Das restliche Blut gelangt über den zweiten Zugang am anderen Arm wieder in den Körper zurück. Deshalb entsteht kein nennenswerter Blutverlust.
Der Vorgang dauert etwa drei bis sechs Stunden. Die spendende Person kann das Entnahmezentrum in der Regel noch am selben Tag verlassen. Je nach körperlichen Anforderungen im Beruf ist ein Arbeitsausfall von zwei bis fünf Tagen zu planen.
Wachstumsfaktoren
Es handelt sich dabei um eine spezifische Substanz (G-CSF), die sich physiologisch in kleiner Menge im menschlichen Körper befindet und die Vermehrung der Blutstammzellen im Knochenmark fördert sowie deren Ausschüttung in die Blutbahn anregt. Um sicherzustellen, dass sich für eine Spende genügend Blutstammzellen im umlaufenden Blut befinden, werden der spendenden Person die Wachstumsfaktoren unter die Haut gespritzt. In der Regel macht dies die Spenderin oder der Spender selbst. Alternativ setzt eine Ärztin oder ein Arzt die Spritzen.
Diese Spendenart wird in etwa 20% der Fälle angewendet. Die Entnahme der Blutstammzellen erfolgt stationär, ist also mit einem Spitalaufenthalt verbunden.
Bei der Knochenmarkspende wird das Knochenmark in mehrfachen Punktionen dem Beckenknochen entnommen. Der Eingriff erfolgt unter Vollnarkose im Spital und dauert etwa 1½ bis 2 Stunden. In der Regel dauert der Spitalaufenthalt drei Tage respektive zwei Nächte. Je nach körperlichen Anforderungen im Beruf ist mit einem Arbeitsausfall von drei bis zehn Tagen zu rechnen. Das Knochenmark regeneriert sich innerhalb von etwa vier Wochen vollständig.
Achtung Verwechslungsgefahr: Das Knochenmark ist nicht zu verwechseln mit dem Rückenmark. Bei einer Knochenmarkspende kann es daher nicht zu Verletzungen des Rückenmarks kommen.
Füllen Sie im Lernjournal die Tabelle zu den zwei Arten der Entnahme aus.
Lesen Sie den Abschnitt «Mögliche Risiken und Nebenwirkungen» und tauschen Sie sich danach mit einer Lernpartnerin oder einem Lernpartner über die möglichen Auswirkungen für Spenderinnen und Spender aus.
Periphere Blutstammzellspende:
Vorbereitung
Stimulation und Vermehrung von Blutstammzellen mit Wachstumsfaktor G-CSF
während fünf Tagen.
Mögliche
Nebenwirkungen
Grippeähnliche Symptome wie Kopfschmerzen, Gliederschmerzen oder erhöhte
Temperatur.
Entnahme
Entnahme von peripheren Blutstammzellen während drei bis sechs Stunden,
in den meisten Fällen ambulantes Verfahren im Entnahmezentrum; evtl. zweite Entnahme am Folgetag
nötig.
Mögliche
Nebenwirkungen während der Entnahme
Schwindel, Kältegefühl oder Brennen in den Venen, Prickeln im Mundbereich, Blutergüsse
an den Einstichstellen.
Risiken
Infektion der Einstichstellen, Bildung von Thrombosen.
Langzeitnebenwirkungen sind nach heutigem Forschungsstand nicht bekannt.
Arbeitsunfähigkeit
Insgesamt zwei bis fünf Tage.
Knochenmarkspende:
Entnahme
Knochenmarkentnahme im Entnahmezentrum unter Vollnarkose, Dauer eineinhalb bis
zwei Stunden, stationärer Aufenthalt zwei bis drei Tage.
Mögliche
Nebenwirkungen
Während mehrerer Tage Schmerzen an den Entnahmestellen. Blutergüsse an den
Einstichstellen. Übelkeit und Müdigkeit.
Risiken
Vollnarkose, Infektion der Einstichstellen. Langzeitnebenwirkungen sind nach
heutigem Forschungsstand nicht bekannt.
Arbeitsunfähigkeit
Insgesamt drei bis zehn Tage.
Die entnommenen Blutstammzellen werden nach der Spende direkt einem Kurier zum Transport übergeben. Zum Überbringen des Beutels mit Blutstammzellen bleiben nur maximal 72 Stunden Zeit, da die Lebensdauer von Zellen ausserhalb des Körpers sehr beschränkt ist.
Der Kurier muss also unter Umständen innert kürzester Zeit weite Strecken mit dem Zug, Auto oder Flugzeug zurücklegen, um die Blutstammzellen sicher und vor Ablauf der Zeit zu überbringen. Blutstammzellen von Schweizer Spenderinnen und Spendern stehen Patientinnen und Patienten auf der ganzen Welt zur Verfügung (mehr dazu im Kapitel Registrierung zur Blutstammzellspende).
Blutstammzellspenderinnen und -spender werden nach der Spende regelmässig während zehn Jahren nachkontrolliert, um sicherzustellen, dass die Spende keine negative Auswirkung auf sie hat.
Bringen Sie in der Tabelle im Lernjournal die Schritte vom Erstkontakt bis zur Spende in die richtige Reihenfolge.